Auf der Suche nach der "besten" Unternehmensverfassung

Prof. Dr. Julia Hansch veröffentlicht Lehrbuch zu Corporate Governance

Das Thema Corporate Governance, zu Deutsch: "Grundsätze der Unternehmensführung", begleitet Prof. Dr. Julia Hansch schon seit ihrem Masterstudium. In ihrem jüngst veröffentlichten Buch "Corporate Governance für internationale Konzerne" im Springer-Verlag geht sie über die deutschen Landesgrenzen hinaus: Sowohl auf gesetzlicher Ebene als auch in der Interaktion miteinander, wie z. B. in der Beteiligung vermeintlicher Minderheiten, finden sich im globalen Umfeld Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten, die Prof. Hansch herausarbeitet. Wie wichtig es ist, sich mit den Gegebenheiten in verschiedenen Ländern und Regionen zu beschäftigen, vermittelt sie nicht nur in ihrem Lehrbuch, sondern täglich an der DHBW Mannheim. Sei es in ihren Lehrveranstaltungen oder in Form ihres internationalen Engagements im Studiengang BWL - Spedition, Transport und Logistik (STL), wodurch sie Studierenden der DHBW Mannheim ermöglicht, die Welt kennenzulernen und mit Empathie zukünftig besser vernetzen zu können.

Frau Prof. Dr. Hansch, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Publikation "Corporate Governance für internationale Konzerne". Im Interview mit dem Springer-Verlag beantworten Sie zahlreiche spannende fachliche Fragen. Lassen Sie uns einen Schritt zurücktreten: Worum geht es in dem Lehrbuch und für welche Zielgruppe ist es konzipiert?

Das Buch bietet einen vertieften Einblick in die Thematik rund um die Hintergründe, die (Rechts-)Systeme und die Besetzung von Gremien im Bereich der Unternehmensleitung und -kontrolle. Es richtet sich an aktive und potenzielle Mitglieder von Aufsichts- und Beiräten, aber auch an Studierende, die sich mit Themen der Corporate Governance beschäftigen.

"International Corporate Governance" ist eines Ihrer Vorlesungshemen. In welchen Studienjahren lehren Sie es? Welchen Mehrwert bietet es Studierenden, Wissen im Bereich Corporate Governance zu haben?

Ich unterrichte das Modul "International Corporate Governance" in der Studienrichtung International Business, und lasse Themen rund um Corporate Governance auch in den Vorlesungen zu Unternehmensführung einfließen, die ich in der Studienrichtung Spedition, Transport und Logistik unterrichte. Vor und während des Schreibens habe ich mir viele Gedanken gemacht, wie ich das für Studierende oft sehr abstrakt und weit weg vom täglichen Geschäft empfundene Thema greifbar machen kann. Ich habe viele Beispiele genutzt und Interviews mit Aufsichtsrätinnen und anderen Expertinnen aus diesem Gebiet geführt, die aus erster Hand berichten, was für Sie gute Corporate Governance ausmacht, wie sie freiwerdende Posten (nach-)besetzen und wie sie sich oft für mehr Diversität einsetzen. Ein Verständnis eben dieser Vorgänge rund um die Unternehmensführung und -kontrolle kann Studierenden, die in international tätigen Unternehmen mit Tochtergesellschaften in vielen Ländern tätig sind, für ihr späteres Fortkommen in diesen Unternehmen nur hilfreich sein.

Sie haben auch schon im Bereich Corporate Governance promoviert. Was fasziniert Sie an daran?

Das ist eine gute Frage: Ich habe mich während meines Masterstudiums an der University of Massachusetts Anfang der 2000er-Jahre sehr stark mit dem Fall "Enron" beschäftigt. Einer meiner Dozent*innen kannte das Unternehmen aus seiner eigenen Berufspraxis und erzählte uns hautnah (zeitgleich mit dem Publik werden des Skandals) jede Woche davon, wie ein vermeintlich sehr erfolgreiches und hoch angesehenes Unternehmen zum einen sein öffentliches Image so gut hat pflegen können, während es intern mehr und mehr Probleme gab. Durch konsequenten Bilanzbetrug, der 2001 ans Licht kam, bereicherten sich die verantwortlichen Manager*innen des US-Energieriesen Enron und führten eine der größten Firmenpleiten der Wirtschaftsgeschichte herbei, die über 20.000 Arbeitsplätze und unter anderem die Altersvorsorge der Mitarbeiter*innen im Wert von über zwei Milliarden Dollar vernichtete. Mich hat es fasziniert, wie sich so viele Leute haben täuschen lassen! Zu Enron gibt es übrigens auch eine hervorragende Verfilmung unter dem passenden Titel "Enron: The smartest guys in the room". Der Film wurde 2006 für den Oscar nominiert. Man sollte denken, dass wir daraus gelernt haben – aber denken Sie nur an Lehman, Satyam, Dieselgate, Korruptionsaffären, etc.!

Was hat sich seitdem im Bereich Corporate Governance verändert?

Hier sind vor allem folgende drei Aspekte zu nennen: Zusammensetzung des Board of Directors (BoD) beziehungsweise des Aufsichtsrats mit dem Stichwort Diversity, Compliance und die zunehmende Relevanz nicht-finanzieller Berichterstattung, also Stichworte wie Environmental Social Governance (ESG) und Non Financial Risks (NFR). Sie sind aktuell und schon seit einigen Jahren viel diskutiert und ändern sich ständig, auch oder vor allem im Hinblick auf die Legislative. Die Gesetzgeber in vielen Ländern reagieren auf eben diese Diskussionen und führen Gesetze rund um Quoten ein – z. B. viele europäische Länder in Bezug auf das unterrepräsentierte Geschlecht, Kalifornien aber auch für andere unterrepräsentierte Gruppen –, verschärfen die Strafverfolgung im Bereich Korruption (denken Sie an den FCPA und die zum Teil horrenden Strafzahlungen) und fordern Transparenz in der Berichterstattung rund um nicht-finanzielle Themen ein.

An der DHBW Mannheim engagieren Sie sich für Gleichstellung. Sie gehen im Springer-Interview und in der Publikation darauf ein, welche Rolle Frauen in Aufsichtsräten internationaler Konzerne spielen. Ist Gleichstellung eines Ihrer Herzensthemen und sehen Sie Ihre Lehre und Publikation zu Corporate Governance als Teil Ihres Gleichstellungsauftrags?

Ich bin der Meinung, dass Hochschulen, Unternehmen und Institutionen allgemein von mehr Diversität profitieren. Diversität im Sinne einer ausgewogeneren Beteiligung der Geschlechter, aber auch gern in Bezug auf Internationalität, Ausbildung und Erfahrung, soziale Herkunft und verschiedene Altersgruppen. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, dann zeigt sich, dass die Quote für Aufsichtsrät*innen in Deutschland innerhalb weniger Jahre zu einer Beteiligung von nun mehr als 30% Frauen in den Unternehmen geführt hat, in denen die Quote greift. In den Hochschulen, und auch an der DHBW, sind wir leider noch weit von den 30% entfernt. Daher kann ich das bejahen – Gleichstellung ist ein Herzensthema, und mein Buch soll einen Beitrag dazu leisten, dass Corporate Governance auch und vor allem durch die Interviews mit den Expertinnen als ein Thema wahrgenommen wird, das durchaus auch von Frauen gelebt und gestaltet werden kann.

Ein weiteres Steckenpferd ist Ihr internationales Engagement und Ihr Interesse an den Prozessen, die außerhalb Deutschlands stattfinden. Es liegt in der Natur der Studienrichtung STL, den Blick in die Welt zu richten. Zusätzlich zu den curricularen Angeboten machen Sie sich für internationale Kooperationen stark, sodass die Studierenden zum Teil auch sehr außergewöhnliche Erfahrungen sammeln dürfen, wie im Oktober dieses Jahres die Studierendenmobilität nach Jordanien. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Seit meiner Ausbildung bei der Bayer AG und meinem Studium in Mannheim und Dartmouth bin ich sehr viel international unterwegs und lege großen Wert darauf, dass sich auch unsere Studierenden aus ihrer Komfortzone begeben. Damit meine ich, in anderen Ländern in anderen Sprachen unterwegs zu sein und sich bewusst in Situationen zu begeben, die für uns ungewohnt sind. Ich habe in den letzten Jahren in Osteuropa (Baltikum) und in Westeuropa (Frankreich) an Hochschulen gelehrt, Dozierende aus anderen Ländern zu uns an die Duale Hochschule geholt und verschiedenste Projekte mit Studierenden aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Frankreich sowie die von Ihnen erwähnte Mobilität mit Jordanien durchgeführt. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie sich die Sichtweise der Studierenden ändert, wie sie die Welt anders wahrnehmen, andere Lebens- und Arbeitsweisen kennen und schätzen lernen. Ich wünsche mir, dass unsere Studierenden später tatsächlich in der Logistik die Welt vernetzen und sich ein Stück weit souverän in verschiedensten Situationen bewegen können. Gern unterstütze ich sie mit meinen internationalen Angeboten dabei, aber auch mit meiner Publikation.

Vielen Dank und alles Gute, Frau Prof. Hansch!